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Fraunhofer Geschäftsbereich Adaptronik

Reversible Aktorik für einen aktiven PKW-Seitenaufprallschutz

Um die Zahl der Verkehrstoten weiter zu reduzieren, sind innovative Sicherheitskonzepte notwendig. Eines dieser Konzepte, ein aktiver Seitenaufprallschutz, wird im Rahmen des Forschungsprojektes APROSYS vom Fraunhofer LBF mitentwickelt. Im Speziellen beschäftigt man sich dabei mit dem Aufbau eines reversiblen Crashaktors. Die Erfahrungen des Institutes im Bereich der intelligenten Materialien bilden dabei die Konstruktionsgrundlage.

Abb. 1: In Baugruppen zerlegter Crashaktor.
Abb. 2: Fahrzeugmodell mit Sitzgestell (hellgrün)und integriertem Sicherheitssystem (rot).

Crashsicherheit im Millisekundenbereich

Das in Verbindung mit den APROSYS-Projektpartnern erarbeitete Schutzkonzept für Seitenunfälle basiert auf einer gezielten Ableitung der Crashenergie in am Unfallgeschehen unbeteiligte Karosseriebereiche. Erreicht wird diese Ableitung durch aktives Einschalten zusätzlicher Lastpfade kurz vor Eintritt des Aufpralls. Ein reversibler Linearaktor schließt hierbei die Lücke zwischen der Blechstruktur der Fahrzeugtür und dem Gestell der Sitze. Somit besteht eine direkte Verbindung der Türaußenhaut mit dem Fahrzeugunterboden. Erste bereits durchgeführte Vollfahrzeugtests bestätigen die Wirksamkeit des beschriebenen Konzepts. Bei einem nach NCAP-Standard durchgeführten 50 km/h-Seitencrash mit einer verformbaren Barriere konnten die Intrusionen der Fahrzeugseitenstruktur in den Innenraum großflächig um ca. 70 mm reduziert werden. An einzelnen Stellen war die Intrusionsreduktion sogar noch deutlich größer. Diese für den Laien im ersten Moment gering erscheinenden Werte stellen in Bezug auf die Crashsicherheit des untersuchten Fahrzeugs eine erhebliche Verbesserung dar. Da der gesamte Crashvorgang innerhalb weniger Millisekunden abläuft, hat jede Veränderung der Intrusionen einen enormen Einfluss auf den komplexen Ablauf des Unfalls und damit auf die Art und den Zeitpunkt des Aufpralls der Insassen auf die Fahrzeugstruktur. Herkömmliche Rückhaltesysteme können durch den Gewinn an Überlebensraum und Reaktionszeit deutlich konservativer und damit insassenfreundlicher ausgelegt werden.

Im Laufe der letzten vier Jahre entstanden am Fraunhofer LBF mehrere Varianten des zur Realisierung des Schutzsystems notwendigen linearen Crashaktors. In die aktuelle dritte Generation sind alle Erfahrungen und Ergebnisse der vorangegangenen Forschungsarbeiten eingeflossen, so dass nun ein seriennaher Prototyp vorliegt. Abbildung 1 zeigt die wichtigsten Baugruppen dieses Aktors: beweglicher Bolzen (1), Anschlussflansch (2), Gehäuse mit Gleitlagerung (3), Antriebsfeder (4), Elektronik und SMA-Auslöseeinheit (5), Zwischenflansch (6a) und Kunststoffgehäuse (6b). Im Gegensatz zu den vorhergehenden Aktorgenerationen konnte die komplette Elektronik inklusiv der SMA-Auslöseeinheit in das Aktorgehäuse integriert werden. Zur Einbindung des Crashaktors in ein Fahrzeugbordnetz reicht es aus, diesen lediglich über einen kleinen Steckverbinder mit dem fahrzeugeigenen CAN-Bussystem und einer 12-Volt-Versorgungsspannung zu verbinden.

Abb. 3: Hochgeschwindigkeitsaufnahme während der Auslösung des Crashaktors. Empfang des Triggersignals bei 0 ms, Erreichen der Endposition bei 79 ms.

Um die Funktionsweise und Zuverlässigkeit des Aktorsystems zu überprüfen, wurde es zahlreichen Tests unterzogen. Unter anderem konnte der Aktor ohne Performanceverlust 50-mal hintereinander ausgelöst werden. Dasselbe Bauteil wurde anschließend in einem Vollfahrzeugcrashtest eingesetzt und erfüllte hier trotz dieser Vorbelastung erfolgreich seine Aufgabe. Abbildung 3 zeigt Bilder eines Auslösetests, aufgenommen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera.

Kundennutzen

Die Forschungsarbeiten im Bereich der Crashsicherheit helfen mit, die Zahl der Verkehrstoten trotz steigender Fahrzeugzulassungszahlen weiter zu reduzieren. Bei zukünftigen Fahrzeugen kann dank aktiver Schutzmaßnahmen zu einem gewissen Teil auf schwere passive Karosseriekonstruktionen verzichtet werden. Reversible Schutzsysteme stellen gegenüber relativ teuren aktuellen Einwegsystemen wie Airbags eine preiswerte Alternative zur Steigerung der Sicherheit im Kleinwagenbereich dar.